Noch nie war es so einfach, ein Buch zu publizieren. Und zugleich hatte es ein publiziertes Buch noch nie so schwer, wirklich relevant zu sein. Ob das mit der Empörung gegenüber Amazon zusammenhängt, kann man nur vermuten. Wie die Branche nach der Aufregung aussehen soll, bleibt allerdings ebenso vage. Offene Briefe mit haufenweise Unterschriften treten zur Zeit an, einer Debatte noch mehr Öffentlichkeit zu bringen. Um was geht es hier eigentlich? Und was kommt als nächstes? Ein Kommentar mit Populismustopping von Marcel Knöchelmann
Amazon vs. WWW
Die Fronten verhärten sich. Im Mittelpunkt steht Amazon. Der Rest der Welt wird aufgeteilt in zersplitterte Lager, zum einen das Heer hauptsächlich etablierter Autoren. Daneben Selfpublisher. Zwischendrin Guerillatruppen, die sich zwischen Amazon und die Etablierten stellen. Das ganze Treiben wird undurchsichtig. Nach den kleinen Haken folgt nun die große Empörung: offene Briefe überall. Streicht man die kleine Nebendebatte der Selfpublisher bleiben zwei Endgegner: Amazon vs. WWW – WorldWide Writers.
Forderungen werden gestellt, Anklagen erhoben. Gutmütig machen die Etablierten Zugeständnisse, Amazons Distribution ist eben besser. Man darf aber nicht vergessen, es geht hier um Bücher, Literatur, hohe Kultur. Das kann man nicht einfach wie Kaffee oder Zement als Druckmittel verwenden. Kultur gehört geschützt, sie muss die Chance haben zu reifen, ohne dass eine drohende Ökonomisierung über jeder Zeile schwebt wie ein Damoklesschwert. Deswegen gibt es ja keine Vorzensur. Der Autor soll frei erschaffen können. Stimmt das tatsächlich so?
Die Standpunkte der Debattierenden sind klar, sie manifestieren sich täglich in Beiträgen über alle Medien hinweg. Doch wo soll die Empörung hinführen? Man stelle sich nur vor, Amazon lenke ein, die Rabatte blieben beim alten: das Bashing dann auch? Oder Amazon bliebe hart, strichen die Verlage dann ihre Geschäftsbeziehungen und investierten in alternative Distributoren? Die gibt es schließlich wie Sand am Meer. Oder erhoffen sich die Autoren einfach, mit ihrem Intellekt dieses Unternehmen zur Vernunft zu bringen? Zur Vernunft eines Denkers, nicht zu der eines Controllers. Ihr offener Brief liest sich schließlich verhältnismäßig zahm gegenüber Aussagen einzelner deutscher Geistesgrößen. Da darf man Vernunft vermuten.
Die große Zurückhaltung von Literatur
Im offenen Brief schreiben die Autoren: „In den „Kunden haben auch gekauft/sich angesehen“-Listen fehlen die Bonnier- Autoren und Autorinnen. Gerade diese Listen wirkten als Empfehlungen, manche bisher unbekannte Autorin, mancher Autor ist dadurch bekannt geworden.“ Gerade solche Empfehlungen sind es, die immer als unzureichend und karg gegenüber denen echter Buchhändler angezweifelt wurden. Die Algorithmen können es aber auch nur falsch machen.
Weiterhin wird in dem Brief der Imperativ erhoben, dass kein „Buchverkäufer den Verkauf von Büchern behindern oder gar Kunden vom Kauf von Büchern abhalten sollte.“ Diese Maxime wird wohl keinem Markt gerecht. Denn gerade das Bewerben der Stärken und der daraus resultierende Absatz macht den Händler erfolgreich. Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Selbstverständlich kann man urteilen, Amazon schließe die Titel nur aus, weil deren Verlage nicht einwilligten und nicht bloß, weil andere Titel besser seien. Aber wie schon in anderen Debattenbeiträgen angemerkt, ist es nicht selten, dass auch Barsortimente Titel ausschließen oder gar Buchhandlungen Autoren und ganze Verlagsprogramme meiden – aus eigenem Befinden heraus. Ob da nun ein Konditionenstreit oder ideelle Zweifel der Grund sind, am Ende wird das Buch nicht verkauft. Und wenn es sich nicht gerade um einen bekannten Titel mit echten Fans handelt, stört es die wenigsten Kunden. Die Masse der Literatur ist ersetzbar. Zumindest bei dieser Masse an Literatur.
Amazon: Effizienz zum Löffeln
Und was ist mit der großen Klasse? Die Topliteraten der Nationen? In der Zeit kamen einige zu Wort. Der Grundtenor war, dass Amazon ungesund sei für die faire Buchkultur. Dieses Geschäft sollte gemieden werden. Außer in Notsituationen, da ginge es eben nicht anders, dann sei es ok. Amazon habe eben als einziger dieses unerschöpfliche Angebot; vergriffene Titel, fremdsprachige Exklusivitäten. Es liest sich wie eine Farce: Größe zerschlagen, aber diesen Long-Tail bitte erhalten.
Wie sehen die alternativen Geschäftsmodelle aus? Wer kann diese Distribution leisten? Wer diese Empfehlungsmechanismen, die Unmenge an Katalogdaten, die überaus gut durchsuchbar sind? Amazon trägt die Literatur weiter als die meisten Buchhandlungen es schaffen, geographisch wie technisch. Aus Sicht der Branche hört sich Amazon an, wie der böse Chirurg, der sukzessive die Organe herausschneidet und sich selbst einverleibt. Man könnte Amazon jedoch auch als die bittere Medizin sehen, die der Markt der Branche einflößt, um sie von den Altlasten zu befreien. Eine Kur. Entschlacken quasi. Effizienz zum Löffeln.
Fairer Buchmarkt?
Zudem gibt es Beiträge – tatsächlich aktuelle, zu dieser Debatte – in denen mit Stolz darauf verwiesen wird, die Buchhandlung um die Ecke zu nutzen und beim Betreten schon Literatur atmen zu können; eine angenehme Vorstellung. Rascheln von Papier, Reinlesen in Bücher, kompetente Beratung vom Vertrauenshändler. Doch Obacht, hier wird zu weit über den Tellerrand geschaut. Diese Klassikerleser, die Idealisten, die über dem Schund der Masse stehen und jedes Buch erst erriechen, sind wohl kaum die Zielgruppe Amazons. Und wenn sie doch dort kaufen, untergraben sie nur selbst ihre geistige Reliabilität.
Die Masse der Kunden will Literatur nicht atmen. Ihre Beweggründe, ein Buch zu konsumieren, ist nicht das ehrenhafte Unterfangen, aktuelle Beiträge echter Kultur zu erleben. Sie wollen einfach nur mal lesen. Weil ein Buch gut sein soll. Weil der Alltag langweilig ist. Weil dem Fernsehen die Motive ausgehen. Oder weil gelesen werden muss, für Schule, Universität, etc. Oder der Klassiker: ein Buch ist ein gutes Geschenk. Es gibt etliche Gründe, die nichts mit dieser Kultur zu tun haben (wenn nicht diese Masse die eigentliche Kultur ist).
Das Internet mit bequemen Innovationen
All diese Gründe haben jedenfalls eine Gemeinsamkeit: das Objekt muss bequem zu bekommen sein. Konsumenten stecken heute an allen Ecken und Enden in Wattebauschen. Alles muss günstig, schnell und umstandslos passieren. Bei Gütern, bei denen alle Produkte einer Artikelnummer exakt gleich sind, hat das Internet klare Vorteile; mit Preisen – eines der für die Masse wichtigsten Argumente – kann ein international agierender Anbieter zusätzlich punkten; ebenso bei Kosten. Und ob der gemeine Buchhändler nun ein Pro-Argument ist, hängt sehr von der Kaufsituation ab.
Um nun doch noch einmal über den Tellerrand zu schauen: Wieviele Buchläden gibt es denn, die dieses Signum der Literaturvermittlung noch leisten? Diese Suhrkamps und Hansers des Handels? Die wenigsten trauen sich zu dieser Überzeugung und halten sich in dieser – nunja – Nische. Es ist mitnichten leicht, solch eine Atmosphäre und all die Attribute, die diese stützen, heute aufrecht zu erhalten, bei all den reißerischen Blockbusterschinken und dem allgemeinen Innenstadtgebaren, das eher an anonymen Kaufhausstil erinnert. Hochachtung vor dieser Leistung.
Die Ökonomisierung der Etablierten
Wo liegt also der Wert dieser Debatte? Was haben die Protestler im Sinn? Wollen sie ein Zeichen setzen und es ohne Amazon wagen? Springen sie über den Schatten der Kannibalisierung? Was wenn nun die Titel wieder in den Listen auftauchten, welcher Tropfen bringt das nächste Mal das Fass zum Überlaufen? Und die berechtigte Frage ist: Was will der Markt? Hätte man doch einen Algorithmus, um die Antworten zu bestimmen…
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